Autor Thema: Einschätzungen erbeten: Vergleich Rechenmodell / Realität Streufeldberechnungen  (Gelesen 3312 mal)

Offline Chrisl

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Hallo!

Aufgrund des möglichen Meteoritenfalls in Oberösterreich am 13.01.2014 ergeben sich einige Unsicherheiten, die in Summe auf eine Frage hinauslaufen:

Wie gut stimmen die theoretischen Streufeldberechnungen mit der Realität überein?

Im gegenständlichen Fall haben wir ein eingegrenztes Gebiet von ca. 500m Breite und 5km Länge, welches von einem tschechischen Astronomen berechnet wurde. Die gefallene Masse soll laut Auswertung der Feuerkugelaufzeichnungen max. 100g aufweisen. Aufgrund der Spektralanalyse der Feuerkugel soll es ein Steinmeteorit sein. Weitere Informationen gibt es leider nicht.

Beim Durchstreifen des weitläufigen Suchgebietes kommen natürlich Zweifel und Fragen auf:

1)   Mit welche Genauigkeit / Toleranz werden solche Berechnungen durchgeführt? Irgendwo hört das Zahlenmaterial ja hinter dem Komma auf und jede Winkelungenauigkeit (z.B. durch Meßfehler) verändert das Streufeld wesentlich.
Hat jemand Erfahrungswerte (in +/- X Kilometern in Länge und Breite) mit welcher Abweichung die Berechnungen einzuschätzen sind?
Deckt die Größe des Streufeldes diese Toleranz ab, oder geht diese üblicherweise über den abgegrenzten Bereich hinaus?

2)   Wie verhält sich erfahrungsgemäß die berechnete Endmasse mit den tatsächlich gefundenen Mengen? Beispiel Neuschwanstein: Hier gingen ja die ersten Berechnungen von ca. 25kg aus, gefunden wurden jedoch nur 6,2kg (Verhältnis Berechnung/ Fund von 4/1).
Wendet man dieses Verhältnis auf den möglichen Fall vom 13.01. in OÖ an, sind es statt 100g (Hühnerei-Größe) nur mehr 25g (Haselnuß-Größe). Nicht gerade sehr motivierend……
Hat jemand dazu mehr Erfahrung oder Beispiele?

3)   Die Endmasse hat ja wesentlichen Einfluß auf die Flugbahn (Luftwiederstand, Winddrift). Wenn es statt berechneter 100g tatsächlich nur 25g sind, wie stark verändert sich dadurch das mögliche Streufeld?
Oder anders gefragt: Deckt ein berechnetes Streufeld solche Massenunsicherheiten ab, oder könnte das Streufeld auch mehrere Kilometer abseits zu liegen kommen?


Wir werden versuchen, diese Fragen mit dem tschechischen Kollegen, der die Berechnungen durchgeführt hat,  zu klären.

Auf jeden Fall würden uns Eure Erfahrungen und Einschätzungen dazu sehr interessieren!

Danke & beste Grüße!
Christian

Offline Buchit

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Re: Einschätzungen erbeten
« Antwort #1 am: Februar 11, 2014, 12:05:03 Nachmittag »
Hallo Christian,

ich fürchte, ohne die Rohdaten genauer zu kennen (insbesondere die Meßgenauigkeit), ist Deine Frage schlecht zu benatworten. Denn (nur mal als Beispiel) auch der Meteorit von Treysa wurde aufgrund von Berechnungen gefunden - und da standen nur reichlich unpräzise Informationen zur Verfügung, wenn ich mich recht entsinne. Umgekehrt waren die Daten in Geislingen recht präzise (oder kamen allen Beteiligten jedenfalls so vor) - aber gefunden wurde trotzdem nicths: Übersehen? Woanders heruntergekommen? Gar nichts gefallen? Nichts Genaues weiß man nicht...

Gruß,
Holger

Offline Chrisl

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Re: Einschätzungen erbeten: Vergleich Rechenmodell / Realität Streufeldberechnungen
« Antwort #2 am: Februar 11, 2014, 15:30:34 Nachmittag »
Hallo Holger,

es geht nicht um den konkreten Fall, sondern um eine rein allgemeine Abschätzung zwischen theoretischen Berechnungen und tatsächlichen Funden.

Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, wie viele Meteoritenfälle es gibt, bei denen man rückblickend analysieren konnte, wie genau die theoretischen Voraussagen waren. Dazu bin ich zu wenig lange dabei....

Ich denke jedoch, dass es hier Forenmitgieder gibt, die ihre diesbezüglichen Erfahrungsberichte mitteilen können.

Christian

Offline herbraab

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Re: Einschätzungen erbeten: Vergleich Rechenmodell / Realität Streufeldberechnungen
« Antwort #3 am: Februar 11, 2014, 16:54:53 Nachmittag »
An den "Kommastellen" scheitert es sicherlich nicht. Größter Unischerheitsfaktor ist wohl der Dunkelflug. Der Winddrift ist (insbesondere bei kleineren Stücken) ganz erheblich. Nun kennt man die genaue Masse der Einzelstücke nicht, ihre Form (und damit die Angriffsfläche, die sie dem Wind bieten) noch weniger, und die Daten zu den Windverhältnissen muss man auch aus Sondenaufstiegen in der (räumlichen und zeitlichen Umgebung) interpolieren.

Im konkreten Fall nehme ich an, dass sich länge des Sterufeldes aus unterschiedlichen angenommenen Massen ergibt, und die Breite aus der Unsicherheit im Winddrift.

Aber es gibt da ohne Zweifel Forumsmitglieder die dazu viel mehr sagen können und viel qualifizierter Auskunft geben können als ich.

 :weissefahne:
Herbert
"Daß das Eisen vom Himmel gefallen sein soll, möge der der Naturgeschichte Unkundige glauben, [...] aber in unseren Zeiten wäre es unverzeihlich, solche Märchen auch nur wahrscheinlich zu finden." (Abbé Andreas Xaverius Stütz, 1794)

Offline Hungriger Wolf

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Re: Einschätzungen erbeten: Vergleich Rechenmodell / Realität Streufeldberechnungen
« Antwort #4 am: Februar 11, 2014, 19:55:52 Nachmittag »
Hallo Christl!

Zitat
Wie gut stimmen die theoretischen Streufeldberechnungen mit der Realität überein?

Reale Meteoritenstreufelder sind von vielen Faktoren abhängig.
Theoretische Modelle sind und bleiben Modelle für ein mögliches Fundareal.
Die Fundchancen (meine Einschätzung) sind leider jedoch umso kleiner je kleiner die mögliche Gesamtmasse ist!
Genaugenommen ist es nach dem ersten Meteoritenfund umso leichter auch noch weitere Meteorite zu finden! 

Aber was auch Geislingen betrifft sind die theoretischen Modellberechnungen im realen Landschaftsraum mit Hochebene und Talbereich räumlich realistisch einzuorden (Suche) und besonders der Dunkelflug (Meteoritenflugbahnen) ist von Winddrift/Luft-Strömungen/Turbulenzen (Flugbahn) abhängig!
Da häufig unterschiedliche Einzelmassen der einzelnen entstandenen Meteoritenfragmente vorliegen, macht es dadurch auch nicht leichter und erhöhen den möglichen Flächen-Fundbereich/Ausdehnung/Suchareal, der leider u.U. auch nicht ideal-elliptisch ist….

Fazit: Wer tatsächlich was findet, ist im realen Meteoriten-Streufeld angekommen und liegt richtig!

Viel Erfolg den mutigen Meteoriten-Suchern in Österreich!
  :super:

Grüsse  :hut:
Achim

Offline Chrisl

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Re: Einschätzungen erbeten: Vergleich Rechenmodell / Realität Streufeldberechnungen
« Antwort #5 am: Februar 12, 2014, 08:09:51 Vormittag »
Hallo,

wie groß war denn das berechnete Streufeld und die vorhergesagte Gesamtmasse in Geislingen?

Mir geht es, wie gesagt, um ein paar Vergleichszahlen, um den aktuellen Fall besser einschätzen zu können.

Danke!
Christian

Offline KarlW

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Re: Einschätzungen erbeten: Vergleich Rechenmodell / Realität Streufeldberechnungen
« Antwort #6 am: Februar 12, 2014, 15:15:16 Nachmittag »
Hallo Christian,

das Wichtigste zu Deiner Frage ist schon geschrieben worden (Herbert et al.). Jeder Fall ist etwas anders; deshalb ist eine Einschätzung ohne die wichtigsten Daten nicht seriös zu liefern.

Die Darstellung des Falls auf der schwäbischen Alb ("Geislingen") findest Du hier
http://www.jgr-apolda.eu/index.php?topic=6072.msg78968#msg78968
und in etlichen Folgebeiträgen.

Damals war wegen der großen Endhöhe von >29 km nur mit kleinen Meteoritenmassen im Bereich weniger Gramm zu rechnen. Die optimistischsten Annahmen zur Form der Stücke (die Form bestimmt die Falldynamik mehr als die Masse!) und zur Höhe der erzeugenden Fragmentierung hätten maximal etwa 40-50 g zugelassen, realistisch waren aber <10 g.
So kleine Massen sind nicht nur schwer zu finden, sie werden auch vom Wind besonders stark vertragen. Damals lag der Fall zwischen und recht weit weg von den Zeitpunkten der verfügbaren Sondenaufstiege, so dass eine kleine durchziehende Störung das Streufeld auf unbekannte Weise (im dümmsten Fall um 2-3 km) verlagert haben könnte. Dabei war das Suchgebiet eigentlich recht kompakt (<10 qkm, im Vergleich zu >300 qkm bei Chelyabinsk), weil der effektive Wind von hinten im Sinne des Falls kam und so das Streufeld U-förmig zusammengeschoben hatte und die in Frage kommenden kleinen Massen auf dem U-Bogen lagen.

Insgesamt hatten wir damals keine Chance, aber wir haben versucht, sie zu nutzen, und es war lustig und Gemeinschafts-bildend.  :einaugeblinzel:

Grüße  :winke:
Karl
 

Offline Greg

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Re: Einschätzungen erbeten: Vergleich Rechenmodell / Realität Streufeldberechnungen
« Antwort #7 am: Februar 12, 2014, 15:34:58 Nachmittag »
Off-Topic:
Und wenn ich daran zurückdenke, als Rob und ich nach Stunden der Fahrt abends frohen Mutes ankamen und ein mir bis dahin unbekannter Mann (Karl W) beim Essen erzählte, dass die bisherigen Berechnungen falsch seien, eventuelle Stücke maximal im Grammbereich lägen (Erbsengröße) und dass dadurch Fundchancen ziemlich bis völlig aussichtslos seien, das war wie ein herber Schlag ins Gesicht...  :laughing:
Zu dem Zeitpunkt hätte ich echt nicht gedacht, dass ich diesen Mann mal mit Hochachtung besuchen könnte... :einaugeblinzel:

Greg :hut:

Offline herbraab

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Re: Einschätzungen erbeten: Vergleich Rechenmodell / Realität Streufeldberechnungen
« Antwort #8 am: Februar 12, 2014, 16:04:40 Nachmittag »
Insgesamt hatten wir damals keine Chance, aber wir haben versucht, sie zu nutzen

 :lacher:
"Daß das Eisen vom Himmel gefallen sein soll, möge der der Naturgeschichte Unkundige glauben, [...] aber in unseren Zeiten wäre es unverzeihlich, solche Märchen auch nur wahrscheinlich zu finden." (Abbé Andreas Xaverius Stütz, 1794)

Offline Thin Section

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Einschätzungen erbeten: Vergleich Rechenmodell / Realität Streufeldberechnungen
« Antwort #9 am: Februar 12, 2014, 16:20:37 Nachmittag »
Ein Narr jedoch wäre gewesen, derjenige, der sich angesichts dieses herrlichen Boliden damals nicht mit auf die Suche gemacht hätte. Photo ist Copyright Hermann Koberger, dessen Eraubnis ich mir damals einholte!

Bernd  :winke:
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Offline lithoraptor

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Re: Einschätzungen erbeten: Vergleich Rechenmodell / Realität Streufeldberechnungen
« Antwort #10 am: Februar 12, 2014, 16:38:30 Nachmittag »
Moin!

Insgesamt hatten wir damals keine Chance, aber wir haben versucht, sie zu nutzen, und es war lustig und Gemeinschafts-bildend.  :einaugeblinzel:

Ein Narr jedoch wäre gewesen, derjenige, der sich angesichts dieses herrlichen Boliden damals nicht mit auf die Suche gemacht hätte.

Genau so sehe ich das auch. Sicher, die Hoffnung doch etwas zu finden schwang immer mit und starb erst ganz zum Schluss - wie dasd immer so ist. Man hat es förmlich knistern höhren in der Luft und dann dieses Adrenalin (Cooles Zeugs! :laughing:)... Aber das Erlebnis der gemeinsamen Suche, die gemütlichen Abende mit den on- und off-Topic Diskursen, der Abgleich der Suchareale mit allen Teams (immerhin waren Sucher aus mindestens 7 Nationen vertreten), das war schon eine großartige Erfahrung, die ich nicht missen möchte.

Gruß

Ingo

 

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