Autor Thema: Tagesbolide 6.4. ~15.34 MESZ (13.34 UT) Bayern/Österreich  (Gelesen 12492 mal)

Offline Flo

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Re: Tagesbolide 6.4. ~15.34 MESZ (13.34 UT) Bayern/Österreich
« Antwort #45 am: April 09, 2020, 19:55:18 Nachmittag »
Hallo Leute,

die letzen beiden Tage war ich intensiv damit beschäftigt, diesen Fall (unter Mithilfe von unserem Dieter) zu analysieren...

Insgesamt habe ich 5 Videos so präzise ausgewertet, wie es mir möglich war (mit Landmarken, Vermessung über Google Earth, Höhenverhältnisse über Pixelzählung ausrechnen,  Triangulation im WGS84).
 
Manche Videos sind bloß teilweise auswertbar, da z.B. der Leuchtspur-Anfang nicht aufgezeichnet wurde oder das Leuchtspur-Ende hinter einem Baum liegt.
Zudem war es gar nicht so einfach, die genauen Aufnahme-Standorte zu bestimmen. In einem Fall waren die Koordinaten des Augenzeugen sogar leicht verkehrt...
 
Ich habe danach die zeitliche Meteorerscheinung gemessen (ohne das Nachleuchten) und bin auf 2.56 Sekunden gekommen. Zudem sitzt der Beginn der Leuchtspur etwas tiefer als gewöhnlich und das Leuchtspur-Ende etwas höher, da erstens die Videoauflösungen nicht so gut sind und zweitens die Leuchtspur nicht so detailliert aufgenommen wird wie bei einer Nachtaufnahme.
 
Aber es ist immerhin ein Versuch, wobei man hier mit sehr vielen Schätzungen arbeiten muss. Wenn wir noch mehr Videos auftreiben, kann das die Genauigkeit weiter erhöhen! :super:
 
Danach habe ich die erhaltenen Messwerte als Ausgangsbasis genommen und ein paar Simulationen mit meinem Simulations-Programm ImpactSim durchlaufen lassen!  :user:


bisherige Ergebnisse:

Beginn der Leuchtspur: 47.248116, 12.404143 in 52756.56 m ü. NN
Ende der Leuchtspur: 47.516877, 12.882937 in 20369.49 m ü. NN
zR: 55.31430576827237 °
Eintrittsgeschwindigkeit: 32990.0
Startmasse: 350.0 kg (Schätzwert!)
Dichte: 3420.0 kg/m³ (Mittelwert gewöhnlicher Chondrit)
 
Damit kommt man auf folgende Simulationswerte:
Dauer Leuchtspur: 2.515 s
Geschwindigkeit beim Verlöschen: 5389.76 m/s
Restmasse: ca. 7.8 kg


Der Leuchtflug ist in Gelbgrün dargestellt, der Dunkelflug in rot. Winddrift wurde berücksichtigt...

Wer mag, kann sich Leucht- und Dunkelflug auch als KML ruterladen:
http://schweidl.gmxhome.de/impactsim/EN060420_v3-Leuchtflug.kml
http://schweidl.gmxhome.de/impactsim/EN060420_v3-Dunkelflug.kml

Bis zum Mondsee kam der Brocken auf keinen Fall, in meiner aktuellen Simulation noch nicht mal bis Hallein!
Er ist mir fast in den Königssee "geplumpst", wie man sehen kann!
Großräumig wird es wohl auf das Berchtesgadener Land hinauslaufen, womöglich noch nicht mal Österreich...

Allerdings gibt es wohl keinen wohlklingenderen Namen für einen Meteoriten als "Königssee"! Selbst der "ordinäre" Neuschwanstein kann da nicht mithalten!  :winke:
 
Die Streufeldberechnung war bis gerade eben noch in der Mache (wegen der Rechenintesität - trotz Multicore-Ausnutzung)! Ich werds dann auch mal hier rein stellen:
http://schweidl.gmxhome.de/impactsim/EN060420_v3-Streufeld.kml

Bitte nicht erschrecken: Das Streufeld ist so groß, da es momentan noch sämtliche Toleranzen (ungenaue Angabe bei, Koordinaten, Geschwindigkeit, Masse, Eintrittswinkel, Richtung usw.) umfasst.
Es ist sozusagen allumfassend.
 
Wichtig wäre es jetzt, noch weitere Videos aufzutreiben um besonders den Leuchtspurbeginn zu präzisieren und die Höhenangaben!!!
Dann wird auch das Streufeld kleiner...

Viele Grüße!
Florian Schweidler

Offline Murchison´s friend

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Re: Tagesbolide 6.4. ~15.34 MESZ (13.34 UT) Bayern/Österreich
« Antwort #46 am: April 09, 2020, 20:02:46 Nachmittag »
Lieber Florian,

das hast Du grandios gemacht, gratuliere !
ABER  ich reklamiere - da MUSS was in Österreich gelandet sein !!!

LG,
Michael


Murchison`s friend ist für alles Neue offen - besonders um Meteorite zu finden !

Offline Flo

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Re: Tagesbolide 6.4. ~15.34 MESZ (13.34 UT) Bayern/Österreich
« Antwort #47 am: April 09, 2020, 20:13:39 Nachmittag »
Hallo Michael,

die Erfahrung zahlreicher Fälle in den letzten Jahren (und Jahrzehnten) hat uns doch gezeigt, dass die Steine immer über Österreich angeflogen kommen und dann knapp in Deutschland landen!  :einaugeblinzel:

Aber ich bin gerne bereit, mich eines besseren belehren zu lassen! Lass es uns rausfinden!  :hut:

Flo

Offline karmaka

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Re: Tagesbolide 6.4. ~15.34 MESZ (13.34 UT) Bayern/Österreich
« Antwort #48 am: April 09, 2020, 20:42:28 Nachmittag »
Vielen Dank für deinen wertvollen Beitrag, Florian!  :super:

Es bleibt spannend!

Martin

Offline Chrisl

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Re: Tagesbolide 6.4. ~15.34 MESZ (13.34 UT) Bayern/Österreich
« Antwort #49 am: April 09, 2020, 21:00:09 Nachmittag »
Hallo zusammen,

toll, welch ein Aufwand hier betrieben wird!

Für mich allerdings immer noch ein Mysterium, wie man aus verwackelten Handy- oder Dashcamvideos - deren Optikparameter weder mit professionellen DSLR Objektiven vergleichbar sind (Verzerrungen!) und zudem wohl nicht genau bekannt sind - Positionsangaben ermitteln kann.

Ohne hier irgend etwas schmälern zu wollen, irritiert mich die Abweichung bei den zwei verfügbaren Auswertung der Videos (Strewnify und Florian):
Eintrittsgeschwindigkeit: einmal 17km/s, einmal rund 33km/s
Endhöhe: einmal 33km, einmal 20km

Diese wesentlichen Parameter haben also eine Streuung von 50-100% !?

Irgendwie ist das nicht recht zufriedenstellend...
Und das meine ich jetzt ganz persönlich für mich selbst, und nicht auf die Bemühungen der beiden gemünzt!

Meint
Christian

Offline Flo

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Re: Tagesbolide 6.4. ~15.34 MESZ (13.34 UT) Bayern/Österreich
« Antwort #50 am: April 09, 2020, 21:46:06 Nachmittag »
Hallo!

Nun, im Gegensatz zur Nachtaufnahme, ergibt sich aus den Tagaufnahmen und den bewegten Aufnahmen nicht unbedingt eine höhere Genauigkeit, wie man sich vorstellen kann! Es sei denn, man hat Zugriff, auf professionelle photogrammetrische Software...
Ich habe mir sämtliche Videos heruntergeladen und genau die Frames zur Auswertung herangezogen, die das erste Erscheinen bzw. das Verlöschen kennzeichnen.

Und daraus können sich schon Abweichungen ergeben, je nachdem, welche Frames verwendet wurden: Zunächst habe ich nämlich zur Bestimmung des Endpunktes immer den Frame aus den Videos gezogen, die wirklich das letzte Verlöschen der Leuchtspur beinhalteten.
Aber: Bei genauerem Hinsehen, kann man erkennen, dass es sich nur um ein Nachleuchten handelt und dass das eigentliche "Objekt" selber schon etwas eher verlischt und auch etwas weiter fliegt.

Daher habe ich eine längere Flugstrecke, aber auch eine kürzere Flugzeit. Daraus ergibt sich zwangsläufig ein tieferer Messpunkt und eine höhere Geschwindigkeit.

Trotz allem ist das alles mit Vorsicht zu genießen (sowohl meine, als auch jede andere Analyse). Vor allem mit der Genauigkeit des Leuchtflug-Beginns bin ich noch unzufrieden, da ich nur 2 Videoquellen (das absolute Minimum) verwenden konnte. Und die Startmassen sind momentan sowieso nur Schätzwerte! Die Unsicherheiten lassen momentan noch keine genaueren Angaben zu, allenfalls Trendangaben.

Sollte jedoch jemand eine photogrammetrische Software sein Eigen nennen und auch deren Bedienung mächtig sein, so wäre das ein sehr wertvoller Baustein!

Viele Grüße!
Flo

Offline hugojun

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Re: Tagesbolide 6.4. ~15.34 MESZ (13.34 UT) Bayern/Österreich
« Antwort #51 am: April 09, 2020, 23:23:24 Nachmittag »
Hallo Florian,

Deine Auswertung der Videos für den Endpunkt der Leuchtspur liegt ca. 5km SW von dem Punkt von Jim Goodall.
Mit dem hatte ich zuerst gerechnet und liege da genau in der Verlängerung zu deinem Endpunkt des Dunkelflugs.
Siehe meine erste Karte.
Der Schlenker in Deiner SIM unterhalb 10000 m ist wohl der vorherrschenden Luftströmung aus SO geschuldet,
aber den Einfluss der SW Strömung oberhalb 15km kann ich nicht erkennen, obwohl da der stärkere Wind mit über
 50kt geherrscht hat? Erst knapp über dem Boden drehts wieder nach NO (der Stein).
Der Wege über Grund unterscheiden sich mit weniger als 1,5km als ganz gutes Maß für die Annahmen über
 die Endgeschwindigkeit nach Ende der Leuchtspur.

Gruß
Jürgen

Offline Ben Austria

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Re: Tagesbolide 6.4. ~15.34 MESZ (13.34 UT) Bayern/Österreich
« Antwort #52 am: April 09, 2020, 23:47:37 Nachmittag »
Hallo Jürgen, hallo Flo,

danke für eure hochinteressanten Beiträge und Berechnungen - nur weiter so  :super:!

LG
Ben

Offline Flo

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Re: Tagesbolide 6.4. ~15.34 MESZ (13.34 UT) Bayern/Österreich
« Antwort #53 am: April 10, 2020, 04:53:47 Vormittag »
Der Schlenker in Deiner SIM unterhalb 10000 m ist wohl der vorherrschenden Luftströmung aus SO geschuldet,
aber den Einfluss der SW Strömung oberhalb 15km kann ich nicht erkennen, obwohl da der stärkere Wind mit über
 50kt geherrscht hat? Erst knapp über dem Boden drehts wieder nach NO (der Stein).

Hallo Jürgen,
Zum Windeinfluss: Grundsätzlich kann man bei allen Fällen beobachten, dass der Wind erst dann an Einfluss gewinnt, wenn der Meteoroid immer langsamer wird. Am stärksten ist der Einfluss natürlich während der Freifallphase! Vorher ist die Geschwindigkeit des Meteoroiden selbst zu dominant, so dass sich  hier der Windeinfluss noch nicht so stark bemerkbar macht, auch wenn in größeren Höhen der Wind stärker ist.

Kurze Abschätzung: Beim Übergang in die Dunkelflugphase beträgt die Geschwindigkeit des Meteoroiden und damit die Strömungsgeschwindigkeit im Medium ca. 5000 m/s. Da fallen dann 50 kn (=92,6 m/s) noch kaum ins Gewicht...
Und dann spielt natürlich auch eine Rolle, welche Form und Masse das Objekt selbst hat: Je größer die Masse, desto weniger wird sie natürlich vom Wind abgelenkt.


Anmerkung: Für meine Simulation habe ich zeitinterpolierte Winddaten des DWD (Ballonsondenflug) der Station Oberschleißheim verwendet.
Mit den Daten der IGRA (wie sie Strewnify verwendet) muss ich mich erst noch auseinandersetzen, könnte aber ganz interessant sein!

@ Jürgen: Woher stammt das Windprofil aus deiner letzten Berechnung? Dann kann ich ja mal vergleichen, wie sich das auswirkt!

Eines sollte man jedoch bedenken: Solange die Flugbahngeometrie selbst noch mit relativ großen Unsicherheiten behaftet ist, dürfte die Winddrift von eher untergeordneter Bedeutung sein...
« Letzte Änderung: April 10, 2020, 05:52:27 Vormittag von Flo »

Offline karmaka

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Re: Tagesbolide 6.4. ~15.34 MESZ (13.34 UT) Bayern/Österreich
« Antwort #54 am: April 10, 2020, 08:42:10 Vormittag »
Ein neuer Bericht vom ORF Salzburg:

Meteorit: Zwischen Hallein und Berchtesgaden

LINK

'Lieblingsnachbarn'  :einaugeblinzel:

Offline hugojun

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Re: Tagesbolide 6.4. ~15.34 MESZ (13.34 UT) Bayern/Österreich
« Antwort #55 am: April 10, 2020, 10:27:49 Vormittag »
Hallo Florian,

die Winddaten stammen auch aus Oberschleißheim , nennen sich aber „atmospheric sounding data „.
Ob die das gleiche ist wie Ballondaten, kann ich nicht sagen. Ich schicke dir mal die daten als *.txt-file.
Sie werden halbtäglich erfasst.
Im jetzigen Fall ist der Fallwinkel wieder relativ steil, aber je flacher er wird , desto weniger verliert der Meteoroid an Höhe und um so länger ist sein Weg im wirklich freien Fall.


Gruß
Jürgen

Offline Flo

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Re: Tagesbolide 6.4. ~15.34 MESZ (13.34 UT) Bayern/Österreich
« Antwort #56 am: April 10, 2020, 10:42:21 Vormittag »
Ach so, hast du auch mit den Daten der UWYO gearbeitet? Dann wirds wohl keine so großen Unterschiede geben...

Ich hab übriges bei meiner Streufeld-Berechnung einen Parameter falsch eingestellt und muss es nochmal neu durchrechnen, ich werde das ganze dann nochmal neu hochladen...  :bid:

Offline Ben Austria

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Re: Tagesbolide 6.4. ~15.34 MESZ (13.34 UT) Bayern/Österreich
« Antwort #57 am: April 10, 2020, 10:53:22 Vormittag »
Das Team vom NHM ist ja auch ganz schön aktiv. Wenn die Bevölkerung in dieser Gegend dazu aufgerufen wurde, die Augen aufzuhalten, bleibt es ja spannend, wann und ob was gefunden wird.
Das hilft dann die Berechnungen sicher auch nochmal zu präzisieren.

Die Hoffnung endlich mal wieder auf einen österreichischen Fall stirbt zuletzt (immer diese "grenzgängerischen Meteroritenfälle" :gruebel:).

LG
Ben

Offline erich

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Re: Tagesbolide 6.4. ~15.34 MESZ (13.34 UT) Bayern/Österreich
« Antwort #58 am: April 10, 2020, 11:10:12 Vormittag »
Ja, durch den neuen Kurator, Prof. Ludovic Ferriere, tut sich einiges auf dem Sektor. Durch ihn und dem Chef des Hauses Prof. Christian Köberl, auf dessen Weltruf man als Österreicher stolz sein kann, hat die seit Jahrzehnten meines Erachtens vernachlässigte Abteilung neuen Aufschwung erlebt. Ferriere ist endlich einer, der nebst seinen hervorragenden Fachkenntnissen auch aktiv viel in Bewegung bringt.
<B>Impactites; Rare minerals and rock samples from beyond earth's gravity</B>

Offline karmaka

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Re: Tagesbolide 6.4. ~15.34 MESZ (13.34 UT) Bayern/Österreich
« Antwort #59 am: April 10, 2020, 11:15:41 Vormittag »
Ja, durch den neuen Kurator, Prof. Ludovic Ferriere, tut sich einiges auf dem Sektor. Durch ihn und dem Chef des Hauses Prof. Christian Köberl, auf dessen Weltruf man als Österreicher stolz sein kann, hat die seit Jahrzehnten meines Erachtens vernachlässigte Abteilung neuen Aufschwung erlebt. Ferriere ist endlich einer, der nebst seinen hervorragenden Fachkenntnissen auch aktiv viel in Bewegung bringt.

Absolut richtig, Erich! :super:

 

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