Und Jürgen, man muß ja nicht soweit zurückgehen, wie zur nebelumhüllten Himmelsscheibe, sondern reichen ja zwei-, drei, fünf Jahrhunderte.
Künstlerische und sonstige Darstellungen kann man eigentlich nie nur als Abbildung einer Wirklichkeit lesen, sondern alles steckt eben voller Symbole, Zeichen, Allegorien, Emblemen, Andeutungen, Verweisen - die von den Zeitgenossen zwar verstanden, uns aber nicht mehr so geläufig sind. Guxx, heut simmer nimmer fromm, einer der beiden Hauptbesteller für Kunst war der Klerus. Heut müssmer Lexika wälzen, welcher Heiliger welche Attribute und warum hat, welche Blume im Vordergrund was symbolisiert, welches Tier was bedeutet, welche Mantelfarbe für was steht, welche Staffage auf welche Stelle im Alten und Neuen Testament verweist...
Gut, bei Deinem Dürerbild ists sehr einfach, da haben wir ja die Gebrauchsanleitung. Da gings dem Dürer darum, wie pack ich möglichst viel aus den Stellen zur Öffnung des fünften&sechsten Siegels aus der Johannesoffenbarung in ein Bild und ordne es so an, daß es der Kracher wird.
(Schließlich galts die Marke zu verteidigen, der Dürer war mit seiner Agnes ein begnadeter Selbstvermarkter).
Worum es in dem Bild überhaupt nicht geht, ist es die Position von Sonne zu Mond korrekt anzugeben, schließlich, schau, die beiden schauen nicht gerade heiter drein, denn die Sonne weiß schon, gleich werd ich schwarz wie ein härener Sack und der Mond drückt schon, daß er rot wie Blut wird - und gleich wird der ganze Himmel zusammengerollt wie ein Pergament...
Hier, moment, hast das ganze Bildprogramm:
https://www.die-bibel.de/bibeln/online-bibeln/lesen/LU17/REV.6/Offenbarung-6Kennt man die Offenbarung nicht, ist man verratzt, steht davor und rätselt.... Kleiderausgabe im Himmel und unten geht alles vor die Hunde..
So ist das zu lesen. Und natürlich kommts dem Dürer auf eine besonders effektvolle Darstellung an und nicht auf eine realistische Wiedergabe (wer hat schon mal eine Apokalypse erlebt...).
Vielleicht wenn mans in die heutige Zeit übersetzte, wir haben ja mit dem deutschen Roland Emmerich den größten Zerschmeisser in Hollywood sitzen. Dreht eigentlich immer denselben Film, nur zerschmiß er am Anfang erst die Stadt, hernach das Land, im nächsten Film einen Kontinent, hernach die Nordhalbkugel und am End, 2012, hat er die ganze Welt zerschmissen! (von ihm erzählt man sich noch heut an der Filmhochschule, daß während die andern Studenten allerlei gelernt, er immer nur im Keller saß und Matchbox-Autos in die Luft gesprengt).
Es geht um den Effekt!
Nun gut, manchmal, grad wenn ich an Dürer denk, macht sich ein Künstler auch einen Spaß und verrätselt sein Bild über die Maßen,
an der Melencolia I beißt man sich heut noch teilweis die Zähne aus. Und auch später, längst in der Aufklärung hat man gern solche Rätselbilder als erbauliche Beschäftigung für das Bildungsideal; grad knobel ich an ein paar Vues d'optique aussem Rokoko herum, die in der Planetenkindertradition Allegorien der sieben klassichen Planeten darstellen. Wahre Wimmel- und Suchbilder (was hab ich gebraucht, um zu entschlüsseln, was der Kranich mit dem Stein in der Kralle beim Merkur bedeuten soll).
Aber zurück zur Scheibe, natürlich sind das die Plejaden. Es gibt am ganzen Himmel keinen andern derart prägnanten Sternhaufen und v.a. liegen sie knapp nördlich der Ekliptik und bilden mit den Hyaden und dem dicken Aldebaran gleich südlich gegenüber ein enges Tor. Ekliptik, d.h. da kommen Sonne, Mond und alle Planeten dran vorbei. Ein auffälliger Marker also.
Das einzige alternative Siebensterngrüpplein was mir bekannt wär, griechisch-römischer Tradition, wär halt der große Wagen, der bei den alten Schreibern ja auch gewürdigt wird, weil er um den Pol kreiselt, d.h. zirkumpolar in unsern breiten nicht untergeht und aus seiner Stellung man auch recht gut die Zeit im Jahr abschätzen kann. Nur wird der in den Darstellungen meist in Kombination mit kleinem Wagen und Drachen dargestellt. Aber der ist weit weg von Sonne und Mond, anders als auf der Scheibe.
Und den Plejaden kommt in Mesopotamien eine besondere astronomisch-kalendarische und eine mythologische Bedeutung zu. Hat man in den Keilschrifttexten und bildlich auf Reliefs, Rollsiegeln usw.
Und jede sesshafte Zivilisation braucht einen Kalender, zur Verwaltung und für die Kulte/Religion. Und jede greift gesetzmäßig zum offensichtlichen, die drei Zyklen. Umdrehung des Himmels = Tag/Nacht; Mondumlauf (Monat (Wochen)); Sonne (Jahr, Jahreszeiten).
Uff, und jetzt hab ich glatt vergessen, die Plejaden-Schaltregeln zu erklären, wartet.... hier ists gut erklärt:
https://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2019/03/06/das-astronomische-wissen-der-himmelsscheibe-von-nebra-schalttage/Nachtrag, der astronomische Textkorpus, aus dem die Regel stammt, das MUL.APIN ist so rund 3000-3250 Jahre alt (basiert teilweis auf noch älteren Texten). Da ist eine deutsche Übersetzung der betreffenden Stelle:
https://www.jstor.org/stable/41661578Auweh, jetzt hab ich mich treiben lassen - eigentlich hätt ich gern noch gezeigt, an einem astronomischen Blatt, wie man es lesen muß, aus der Straßburger Ovid-Ausgabe vom Sebastian Brant, den wir alle kennen von seinem Flugblatt zum Fall von Ensisheim,
wo er interessanterweise in einem Gesamtkosmosbild drei Sachen direkt übereinanderlegt - einmal das aristotelisch-ptolemäische Sphärenmodell, darüber die Klimazonen und zum dritten noch Ursa major & minor mit Draco darüber. Was man also nur schematisch verstehen kann und wo bis ins Beiwerk nichts dem Zufall überlassen, sondern er strikt am Ovid-Text hängt, also nicht einfach frei interpretiert werden kann. - aber ich vergess häufig, wie schnell ich andere langweilen kann....Kurzgesagt: Bei Bildinterpretaion: Trau schau wem.
Mettmann