Autor Thema: Leben „in vitro“  (Gelesen 5327 mal)

Offline hugojun

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Leben „in vitro“
« am: Juni 07, 2022, 12:08:38 Nachmittag »
Liebe Glas- und Impakt-Sammler, durch diesen Bericht bekommt euer Hobby einen

 Grund mehr, es zu betreiben, eine interessante Schnittstelle zur Astrobiologie:
 
Abstrakt:

„Hier wird über Experimente berichtet, die zeigen, dass Ribonukleosidtriphosphate in Polyribonukleinsäure umgewandelt werden, wenn sie mit Gesteinsgläsern inkubiert werden, ähnlich denen, die wahrscheinlich vor 4,3–4,4 Milliarden Jahren auf der Erdoberfläche des Hadaikums vorhanden waren, wo sie durch Einschläge und Vulkanismus gebildet wurden. Diese Polyribonukleinsäure ist durchschnittlich 100–300 Nukleotide lang, mit einem erheblichen Anteil an 3?,-5?-Dinukleotidbindungen. Chemische Analysen, einschließlich klassischer Methoden, die verwendet wurden, um die Struktur natürlicher RNA nachzuweisen, legen für diese Produkte eine Polyribonukleinsäurestruktur fest. Die Polyribonukleinsäure sammelte sich an und war monatelang stabil, mit einer Syntheserate von 2?×?10–3 pmol polymerisiertes Triphosphat pro Stunde pro Gramm Glas (25°C, pH 7,5). Diese Ergebnisse legen nahe, dass Polyribonukleotide für hadaische Umgebungen verfügbar waren, wenn Triphosphate es waren. Da viele Vorschläge auftauchen, die beschreiben, wie Triphosphate auf der hadäischen Erde hergestellt worden sein könnten, bietet der hier beobachtete Prozess einen wichtigen fehlenden Schritt in Modellen für die präbiotische Synthese von RNA.“


https://dx.doi.org/10.1089/ast.2022.0027

LG
Jürgen

Offline Wunderkammerad

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Re: Leben „in vitro“
« Antwort #1 am: Juni 08, 2022, 16:52:58 Nachmittag »
Das finde ich ziemlich interessant, danke.

Frage mich, wie das genau vorzustellen ist: "dass Ribonukleosidtriphosphate in Polyribonukleinsäure umgewandelt werden, wenn sie mit Gesteinsgläsern inkubiert werden". Heißt das, dass die - offensichtlich in Wasser gelösten - Phosphate in Gläsern eingeschlossen die Umwandlung erfahren?

Offline hugojun

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Re: Leben „in vitro“
« Antwort #2 am: Juni 08, 2022, 17:36:17 Nachmittag »
Ich bin auch kein Biochemiker, aber da der Vorgang in der Natur stattgefunden habe könnte,

könnte ich mir ein Kammer-System in den Glashaltigen Sedimenten mit zumindest zeitweise stagnierenden Flüssigkeitsaustausch vorstellen.

Blasen-Einschlüsse im Glas sind wohl für solche Vorgänge zu lange (in geologischen Zeiträumen gesprochen) hermetisch verschlossen .

 

Offline Wunderkammerad

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Re: Leben „in vitro“
« Antwort #3 am: Juni 08, 2022, 23:08:57 Nachmittag »
Ja, genau: in irgendeiner Form müssten die besagten Vorstufen der RNA sich zeitweise zusammen in/mit den Gläsern in einer hermetischen Situation befunden haben - Stichwort "incubated" = inkubiert, bebrütet.

Beiseite gesagt: erinnert mich, durch den gemeinsamen alchymischen touch, an Goethes Faust I, wo der an sich ziemlich trockene Adlatus Wagner unversehens ins Dämonische abdriftet - an Mephisto gewandt:

Es leuchtet! seht! – Nun läßt sich wirklich hoffen,
Daß, wenn wir aus viel hundert Stoffen
Durch Mischung – denn auf Mischung kommt es an –
Den Menschenstoff gemächlich komponieren,
In einen Kolben verlutieren
Und ihn gehörig kohobieren,
So ist das Werk im stillen abgetan.


Denn darum gehts auch hier, allerdings auf beschleunigtem, extrem abgekürztem Weg - eben: in vitro ...

WAGNER ängstlich.
Willkommen zu dem Stern der Stunde!
Leise. Doch haltet Wort und Atem fest im Munde,
Ein herrlich Werk ist gleich zustand gebracht.

MEPHISTOPHELES leiser.
Was gibt es denn?

WAGNER leiser.
Es wird ein Mensch gemacht.





Offline Eckard

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Re: Leben „in vitro“
« Antwort #4 am: Juni 09, 2022, 11:27:37 Vormittag »
Moin Wunderkammerad M.,
Moin hugojun J.,

herrlich (wie eigentlich der ganze Faust) dieser Dialog MEPHISTOPHELES  / WAGNER im  Laboratorium. Dazu vielleicht noch dies:

MEPHISTOPHELES:
Wer lange lebt, hat viel erfahren.
Nichts Neues kann für ihn auf dieser Welt geschehn.
Ich habe schon, in meinen Wanderjahren,
Kristallisiertes Menschenvolk gesehn.


Nun denn. Dem ersten Satz schließe ich mich an. Dem zweiten Satz weniger, denn Neues gibt es für mich fast täglich, aber ich bin ja nicht Mephisto. Meine Zeit ist begrenzt.
Und kristallisiertes Menschenvolk? Von solchen Wesen(?) las ich vor 40 Jahren in einem Horror-Roman.
Ich staune über die Phantasien mancher Autoren; von denen einige sogar Realität werden könnten/können.

 :winke:
Eckard
Wenn man aufhört, sich zu interessieren, wenn man aufhört, zu lernen,
wenn man aufhört, sich zu begeistern: dann altert man.
(Heinz Bennent am 17.10.2002 in 3sat)

Offline Mettmann

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Re: Leben „in vitro“
« Antwort #5 am: Juni 09, 2022, 14:40:09 Nachmittag »
O daß wir unsere Ururahnen wären.
Ein Klümpchen Schleim in einem warmen Moor.
Leben und Tod, Befruchten und Gebären
glitte aus unseren stummen Säften vor.


 :prostbier:
"If any of you cry at my funeral,
I'll never speak to you again."
(S.Laurel 1890-1965)

Offline Wunderkammerad

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Re: Leben „in vitro“
« Antwort #6 am: Juni 09, 2022, 23:16:14 Nachmittag »
Der gute Onkel, Verzeihung: Oheim Gottfried war schon auch auf der Spur. Aber da ist alles schleimig, fluid, warm, moorig, gar südlich, blau, entgrenzend - es fehlt das Kristalline, das Glas. Das aber haben wir doch gerade geliefert bekommen.

*Notizanmichselbst* Der Oheim fehlt. Der Count fehlt. Viele fehlen mittlerweile.

Offline Mettmann

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Re: Leben „in vitro“
« Antwort #7 am: Juni 12, 2022, 19:36:35 Nachmittag »
Homunculi, homuncula...

Die Wagnersche Ursuppenküche, wie wir sie früher kannten:
http://www.evolution-textbook.org/content/free/figures/04_EVOW_Art/06_EVOW_CH04.jpg

Murchison, Tagish Lake und Murray hat sich Herr Oba angeschaut (sind die nicht besonders wasserreich?):
https://www.sciencenews.org/article/all-of-the-bases-in-dna-and-rna-have-now-been-found-in-meteorites

Hui, Studentenglück! Bald 50 Jahre später hat einer noch etlich weitere Aminosäuren in Millers gesammeltem Originalschlonz neuentdeckt:
https://www.nytimes.com/2008/10/17/science/17life.html

Also ein bisserl safteln schadet nix...

Dareuf einen Seidel
 :prostbier:
Mettmann

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