Viel spaß beim lesen . . .
475-JAHR-FEIER IM HERBST GEPLANT
Steinheid, eine „Bergstadt“
Freie Presse vom 07.07.2005
VON THOMAS SCHWÄMMLEIN
STEINHEID – „Wir waren ja auch einmal Stadt“, sagt mit spöttischem Lächeln ein Steinheider, als sich die Touristen staunend auf dem für eine kleine Gemeinde recht großen Marktplatz umschauten. Dass die einstige Stadtwürde nicht in Vergessenheit gerät, darum braucht man sich nicht zu sorgen, denn im Herbst wird man ausführlich daran erinnern. „Wir feiern im Herbst 475 Jahre Stadtrecht“, sagt Bürgermeister Jürgen Schreppel.
Der Grund dafür ist die Erhebung der Siedlung „Unser liebe Frauen Berg auf der Steinheide“ zur kursächsischen „Freien Bergstadt“.
Zwar hat sich der erhoffte Goldbergbausegen nie eingestellt und etwa sechs Jahrzehnte nach Stadterhebung war das große „Berggeschrei“ wieder vorbei, geblieben ist aber die Erinnerung an einst glänzende Hoffnungen in Rennsteighöhe.
Was aber steckt wirklich hinter dem Stadtrecht, auf dem die Steinheider so sehr beharren und das bisweilen unter den Nachbarorten spöttische Bemerkungen veranlasst. Wenigstens im 18. Jahrhundert wollte niemand mehr so recht von „Stadt“ reden und der Obrist Christian Friedrich Keßler von Sprengseysen bezeichnete Steinheid recht vorsichtig als „Marktflecken“. Und nachdem in Sachsen-Meiningen im 19. Jahrhundert mit einer Gemeindeverfassungsreform die Unterschiede zwischen Stadt und Land fielen, da war der einstige Stadt-Status unerheblich.
Aber eine Stadt war Steinheid tatsächlich, nur eben nicht so, wie es die beiden mittelalterlichen Städte Sonneberg und Schalkau waren. Steinheid war eine Bergstadt und ist insofern auch etwas Besonderes. Bergstädte kennt man aus den Alpen, dem Siegerland in Westdeutschland, dem Harz und vor allem in Sachsen, Böhmen und Ungarn. Zeichneten sich Städte während des Mittelalters und der frühen Neuzeit durch ihre Orientierung auf Handwerk und Gewerbe aus, so waren Bergstädte von Anfang an auf den Bergbau ausgerichtet. Was in den Städten die Bürgerschaft mit einem Rat an der Spitze waren, das waren in den Bergstädten die Knappschaft und die Richter. Beide Begriffe spielten auch in Steinheid eine große Rolle. Aber alles der Reihe nach.
1362 stellte der Wettiner Markgraf Friedrich der Strenge von Meißen eine Bergwerksfreiheit für das neue „Goldwerk“ auf der „Steinen Heide“, gelegen bei der Burg Schaumberg aus. Bergwerksfreiheit bedeutete, dass der Landesherr zum Bergbau auf Gold in dieser Gegend aufrief. Zwar schwiegen sich danach die Quellen über den Bergbau zwischen Grümpental und Rennsteig aus, aber 1482 geht das Bergwerksfieber erneut um. Für die inzwischen zu Kurfürsten aufgestiegenen Wettiner, die im Erzgebirge zwar über äußerst reiche Silberlagerstätten, nicht aber über Goldbergwerke verfügten, war der Besitz eines Goldbergwerks zur Prestigefrage geworden. Weder Geld noch Personal schonte man, um im Coburger Land Gold abzubauen. Spätestens seit dem 13./14. Jahrhundert wurde in dieser Gegend Gold gewaschen und das Aufkommen neuer Goldwährungen ließen auch in Mitteldeutschland Goldbergwerke entstehen.
Zwischen 1504 und 1505 entstand eine Knappschaft, also eine Gemeinschaft der Bergleute. Schließlich wurde 1506 die Bergstadt „Unser liebe Frauen Berg“ offiziell gegründet. Mit „Unser liebe Frauen“ war die Gottesmutter Maria gemeint, deren Verehrung in den Jahrzehnten vor der Reformation eine Hochblüte erlebte, einem Trend den sich die Bergleute, mit ihrer Arbeit ganz besonders auch die auf höheren Schutz angewiesenen, nicht verschlossen haben.
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Stadtrecht
in 80 Exemplaren
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Und dann kam die Erhebung
zur „kurfürstlichen Bergstadt“. Adressat des von Kurfürst Johann von Sachsen ausgestellten und in 80 Exemplaren gedruckten Briefes war die „Gemein und Knappschaft“. In seinem Wortlaut und seinen knappen Bestimmungen unterschied er sich deutlich von dem, was in der Region gewöhnlich unter Stadtrecht verstanden wurde.
Auffallend war die unmittelbare Verknüpfung der städtischen Gemeinschaft, der „communitas“, mit dem Bergbau. Dafür finden sich die Vorbilder im Erzgebirge, in den Verfassungen solcher Bergstädte wie St. Joachimstal und St. Annaberg.
Der Historiker Karl Heinz Blaschke aus Leipzig kennzeichnet die „Bergstädte“ des ausgehenden Mittelalters als eine völlig eigenständige Stadtrechtsgruppe. Besonders deutlich werden die Parallelen zu den sächsischen Bergstädten in der 1534 erlassenen „Polizeiordnung“ der neuen Bergstadt Steinheid, die sich deutlich an den erzgebirgischen Vorbildern orientiert. Selbst der hierarchische Aufbau der Bergstadt entspricht eins zu eins den sächsischen Vorbildern. Die Geschicke leitete ein Rat mit zwei Richtern an der Spitze, die jedoch nicht nur für die niedere Gerichtsbarkeit zuständig waren, sondern in ihrer Funktion den Bürgermeistern der Städte Sonneberg und Schalkau entsprachen. Die Einwohner wurden als Bürger bezeichnet, hatten freies Verfügungsrecht über ihre Grundstücke, hatten Anspruch auf jährliche Holzabgaben, sowie durften Bier brauen und „bürgerliche“ Gewerbe ausüben. Steinheid ist damit nicht nur eine Ausnahme im Landkreis Sonneberg, sondern es ist auch die einzige „reinrassige“ Bergstadt Thüringens. Zwar wurde auch Suhl einmal als Bergstadt bezeichnet und in Städten wie Schmalkalden und Saalfeld war der Bergbau viel bedeutender als in Steinheid, allerdings über ein völlig auf den Bergbau ausgerichtetes Stadtrecht verfügten diese Städte nicht.
Auch im Ortsbild hob sich die Bergstadt deutlich von den anderen Siedlungen im Mittelgebirge ab. Trotz mehrerer Brände ist noch heute die Struktur mit zentralem Marktplatz und einem regelmäßigen Netz von Gassen zu erkennen. Die Errichtung der Bergstadt erfolgte planmäßig und löste die erste Bergbausiedlung unmittelbar bei den Bergwerken, die „Alte Stadt“, ab. Bereits 1506/07 war die neue Siedlung entstanden, in deren Ortsmitte Marktplatz, Kirche und „fürstliches Haus“ standen.
Bis ins 19. Jahrhundert hielten die Steinheider zäh an ihren Privilegien fest, wenn auch die Hoffnungen auf den reichen „Bergsegen“ ausblieben und die Steinheider sich kümmerlich von Holzarbeiten und später von der Glasindustrie ernähren mussten. Noch lange wurden Bürgermeister als „Richter“ bezeichnet und im Ortswappen blieb die alte Bergstadt in Gestalt einer Mutter Gottes bis heute lebendig.
Grund genug also für eine richtig große Feier. In Steinheid trifft sich nächste Woche der Gemeinderat, um über die Jubiläumsfeier zu sprechen. An Ideen mangelt es nicht. Bürgermeister Schreppel spricht von einem Wochenende mit Festakt, großer Feier und Ausstellungen. Alle Vereine sollen einbezogen werden und Tourismuschefin Elisabet Pauli sagt: „Da müssen wir was machen.“
Pfarrer Hubertus Lacqua wird die Räumlichkeiten der Kirche für eine Ausstellung zur Verfügung stellen. Egon Krannich, geborener Steinheider und Verleger im sächsischen Grimma, plant zwei Publikationen zum Jubiläum. „Es wird ein Buch über Gold und Steinheid geben“, erklärt Krannich, der bereits Kontakt zu örtlichen Spezialisten aufgenommen hat. Außerdem solle eine belletristische Schrift über Steinheid, die der Hildburghäuser Technikumslehrer Konstantin Kümpel vor einem Jahrhundert verfasst hat, neu aufgelegt werden.
Pfarrer Lacqua freut sich schon auf die Publikationen, denn neben einer 1992 erschienenen kleinen Schrift über die Steinheider Kirche ist bisher wenig über die Ortsgeschichte veröffentlicht worden.
Und natürlich wird insgesamt immer wieder das Thema Gold eine Rolle spielen. Vorgesehen sei, so Krannich, eine Ausstellung zum Thüringer Gold, die der Suhler Altbergbauforscher Ulrich Brunzel zusammenstellen werde.
Die Steinheider hat das Geschichtsthema voll erfasst. Elisabet Pauli findet es fast schon etwas schade, dass man erst relativ spät an das Jubiläum gedacht habe. Indessen ist der Bürgermeister schon von der Ortsgeschichte fasziniert. Er sei zwar kein gebürtiger Steinheider und müsse sich eben viel erzählen lassen, aber spannend sei die Geschichte schon. Und mit Blick auf die kursächsische Bergstadtwürde bemerkte er mit ironischem Unterton: „Ich wusste ja schon immer, dass einmal Sonneberg ein Vorort von Steinheid war.“